Zarizyn – Stalingrad – Wolgograd: Die Geschichte der Stadt

Zarizyn (1589-1925)

Die geographische Lage des heutigen Wolgograd an der Landenge zwischen Wolga und Don ist so günstig, dass schon im Altertum eine wichtige Handelsroute durch diese Gegend führte.

1589 wurde an der Stelle, wo heute Wolgograd liegt, die Festung Zarizyn gegründet. Sie sollte die südlichen Grenzen Russlands schützen. Die Festung wurde mehrfach von aufständischen Bauern belagert. 1608 wurde als erste Kirche in der Stadt die Kirche des Hl. Johannes des Täufers gegründet. Ende der 1930er Jahre wurde sie zerstört und in den 1990er Jahren an der früheren Stelle wiederaufgebaut.

Peter der Große stattete Zarizyn dreimal einen Besuch ab. Der Zar schenkte den Bürgern der Stadt seinen Gehstock und seine Mütze. Diese Kostbarkeiten sind heute im Landeskundemuseum zu bewundern.

Unter Zarin Katharina II. kamen im Jahre 1765 ausländische Siedler in die Gegend. Herrnhuter Missionare gründeten 30 km südlich von Zarizyn an der Mündung des Flusses Sarpa die Siedlung Sarepta. Die Siedlung war eine regelrechte kleine Festung mit einem Erdwall, einem Graben und zwölf gusseisernen Kanonen. Da den Siedlern zahlreiche Privilegien zugebilligt wurden, entstand hier in kürzester Zeit eine wohlhabende Kolonie, die für ihre Handwerks- und Manufakturerzeugnisse und vor allem für die Senfherstellung berühmt war.

Der Bau der Eisenbahnlinien nach Kalatsch-na-Donu (1862) und Grjasi (1872) machte Zarizyn zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer sowie zwischen Kaukasus und Zentralrussland. Das führte zum wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die verwaltungstechnisch eher unbedeutende Kreisstadt Zarizyn mit 137.000 Einwohnern größer als viele Gouverneursstädte. Und auch in anderen Bereichen war sie den meisten Städten weit voraus.

1925 wurde Zarizyn zu Ehren Josef Stalins in Stalingrad umbenannt und damit eine neue Epoche in der Stadtgeschichte eingeläutet.

Stalingrad (1925-1961)

In den 1930er Jahren war Stalingrad eine aufstrebende Stadt mit rund einer halben Million Einwohnern. Im Zuge des sowjetischen Vorkriegs-Fünf­jahres­plans entwickelte es sich zu einem der bedeutendsten Industriezentren des Landes: Bei der Produktionsmenge belegte Stalingrad den 2. Platz in der Wolgaregion und den 4. Platz in ganz Russland.

Die glänzenden Zukunftsperspektiven wurden allerdings durch die Schlacht von Stalingrad, eine der größten und grausamsten Schlachten des 2. Weltkriegs, zunichte gemacht. Die Kämpfe zwischen Wehrmacht und Roter Armee dauerten von September 1942 bis Februar 1943, dabei wurden mehr als 90 % der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Deshalb stellte sich die Frage, ob ein Wiederaufbau in der alten Form überhaupt zweckmäßig sei. Eine eigens eingesetzte Regierungskommission hielt es für kostengünstiger, eine neue Stadt zu errichten, als die zerstörte wiederherzustellen. Sie schlug daher vor, Stalingrad 10 km wolgaaufwärts zu versetzen und auf dem Gelände der ehemaligen Stadt ein Freilichtmuseum einzurichten. Doch Stalin befahl, die Stadt um jeden Preis an der alten Stelle wiederaufzubauen. Und so begann man bereits im März 1943, aus den Ruinen des alten Stalingrad ein neues erstehen zu lassen.

Der groß angelegte Wiederaufbauplan sah vor, dass die architektonische Gestalt aller Gebäude aufeinander abgestimmt sein und den heldenhaften Geist der Stadt widerspiegeln sollte. Das erklärt die großzügigen Alleen und Plätze, die massiven Industriebauten und die oft monumentale Bauweise selbst gewöhnlicher Wohnhäuser. Mit ihren reichhaltigen Architektur- und Dekorelementen sind sie Musterbeispiele für den neoklassizistischen Baustil, dessen Blütezeit in die 50er Jahre fällt. Er wird auch „Stalin-Empire“ oder „Stalinistischer Zuckerbäckerstil“ genannt.

Nach Stalins Tod 1953 setzte unter Nikita Chruschtschow eine Phase der Entstalinisierung ein. Auch die Heldenstadt an der Wolga war davon betroffen. Um vom Personenkult Abstand zu nehmen, sollte sie einen neuen Namen erhalten. Im Gespräch waren unter anderem Geroisk („Heldenstadt“), Boigorodsk („Kämpferstadt“), Leningrad-na-Wolge („Leningrad an der Wolga“) oder Chruschtschowsk. Doch zum Schluss entschied man sich für Wolgograd, denn, wie die Zeitung Wolgogradskaja Prawda vom 15. November 1961 erklärt: „Der Name der Stadt, die an diesem mächtigen Strom liegt, und der Name des Stroms, an dessen Ufer die Heldenstadt steht, sollen sich vereinigen“. Seit 1961 trägt Stalingrad daher den Namen Wolgograd.

Wolgograd heute

Heute ist Wolgograd eine Millionenstadt mit 1.018.000 Einwohnern. Die Mehrzahl sind Russen (92 %), dazu kommen Minderheiten von Armeniern, Ukrainern, Tataren, Aserbaidschanern (Anteile von je 1,5-0,7 %) und weiteren Nationalitäten.

Wolgograd besteht aus acht Stadtbezirken (Rajon). Von Norden nach Süden sind dies der Traktorosawodski-, Krasnooktjabrski, Dsershinski-, Zentralny-, Woroschilowski-, Sowjetski-, Kirowski- und Krasnoarmejski-Bezirk. Alle außer dem Dsershinski-Bezirk haben direkten Zugang zur Wolga.

Die Millionenstadt an der Wolga ist ein wichtiger Wirtschafts- und Industriestandort, dessen Bedeutung stetig wächst. Zu den wichtigsten Industriezweigen zählen Erdöl- und Metallverarbeitung, Chemie- und Nahrungsmittelindustrie sowie Maschinenbau (Traktoren, Rüstung, Schiffbau). Im Norden Wolgograds steht das größte Wasserkraftwerk Europas.

Mit sechs Universitäten und einer Reihe von Hochschulfilialen und Instituten ist Wolgograd zudem ein wichtiger Bildungsstandort in der Region. Der studentische Einfluss schlägt sich in zahlreichen Bereichen nieder – vom Kreativwettbewerb „Studentenfrühling“ (Studentscheskaja wesna) über ehrenamtliche Tätigkeiten (etwa bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi) bis zum Jugendparlament.