IM SÜDEN: ALT-SAREPTA UND DER WOLGA-DON-KANAL

Dauer: etwa 2 Std. (ohne Anfahrt)

Um vom Stadtzentrum in den Süden Wolgograds zu kommen, nimmt man die Marschrutka 15 (vom Hauptbahnhof) oder 93, 93а und die anderen in Richtung „Jubilejni“. Nach etwa einstündiger Fahrt erreicht man den Krasnoarmejski-Bezirk und steigt an der Haltestelle Prospekt Gerojew Stalingrada („Prospekt der Helden von Stalingrad“) aus, der letzten Haltestelle vor der Brücke über den Wolga-Don-Kanal. Von dort geht man schräg rechts zwischen den Wohnblocks hindurch und steht unverhofft auf einem friedlichen kleinen Platz, der von schlichten Häuschen umgeben ist.

Dieses Stück altes Europa inmitten sowjetischer Plattenbauten ist das Freilichtmuseum Alt-Sarepta (Staraja Sarepta) – die Überreste einer Siedlung, die im Jahre 1765 von der religiösen Bruderschaft der Herrnhuter hier gegründet wurde. Das eigentliche Ziel der Herrnhuter (unter ihnen Deutsche, Tschechen, Dänen, Schweizer und Holländer) war die Missionierung. Doch daneben entfalteten die Gemeindemitglieder eine höchst aktive Tätigkeit in Landwirtschaft, Forschung und Wissenschaft (vor allem in den Naturwissenschaften, der Medizin und Philologie). Aufgrund von politischen und wirtschaftlichen Privilegien für die Siedler entstanden in Sarepta verschiedenste Handwerksbetriebe: Gerbereien, Strickereien, Weinbau, Kerzen- und Seifenherstellung; es gab eine Mühle, eine Keramik- und Ziegelfabrik, eine Papierfabrik und eine Bäckerei, die Siedler bauten Wein und Tabak an und besaßen sogar eine eigene Brauerei. Besondere Berühmtheit erlangte der Senf aus Sarepta, der heute noch hergestellt wird. Nur ein kleiner Teil des alten Sarepta ist erhalten.

Nachdem in der Sowjetunion ein Großteil der ehemaligen Siedlung bereits abgerissen worden war, wurde 1989 an der Stelle der letzten noch existierenden Häuser das Museum Alt-Sarepta eröffnet. Der Museumskomplex besteht heute aus 27 mehr oder weniger gut erhaltenen Gebäuden, die sich im ehemaligen Zentrum der Siedlung befinden. In den Häusern der ledigen Schwestern und Brüder gibt es Ausstellungen, Pläne und Fotos der Siedlung sowie Eintrittskarten für die Ausstellung. In der restaurierten lutheranischen Kirche (Kircha) werden jeden Sonntag um 10 Uhr Gottesdienste auf Russisch und Deutsch gehalten. Die Orgel, ein Geschenk aus Cottbus, wurde 2005 eingebaut. Der ehemalige Handelsladen von Goldbach (Dom Goldbacha) zeigt viele historische Exponate aus der Siedlung Sarepta. Hier kann man einen alten Weinkeller besuchen und Originalwerkzeuge von Webern, Schmieden, Schreinern und Bäckern, Keramik und viele andere Alltagsgegenstände aus jener Zeit sehen. Auch in der Alten Apotheke können drei Räume besichtigt werden: neben der Apotheke selbst ein Schlaf- und Wohnzimmer (die Einrichtung wird je nach Saison umdekoriert). Beeindruckend ist auch die Deutsche Bibliothek im ehemaligen Vorsteherhaus. Sie ist die größte ihrer Art in Südrussland und eine der besten Bibliotheken im ganzen Land.

Alt-Sarepta ist ein wichtiges Tourismus-, Kultur- und Forschungszentrum. Hier werden Konferenzen und Seminare abgehalten, wissenschaftliche Jahrbücher veröffentlicht und alte Rezepturen und Technologien rekonstruiert. Außerdem veranstaltet das Museum Fotografie- und Kunstausstellungen und organisiert Ausflüge ins Wolgograder Gebiet oder ins benachbarte Kalmückien. In der Kirche von Sarepta finden regelmäßig Orgelkonzerte statt.

Am Eingang zum Platz, neben der Deutschen Bibliothek, passiert man die Stele Equilibrio („Gleichgewicht“). Sie ist Teil eines europäischen Gesamtkunstwerks des deutschen Bildhauers Rolf Schaffner: Fünf Skulpturen in Wolgograd, Köln, Santanyj (Mallorca), Cork (Irland) und Trondheim (Norwegen) bilden zusammen ein 4000 km großes Kreuz, das zum Frieden und verantwortungsvollen Umgang mit der Natur mahnen soll.

Hinter dem Haus der ledigen Brüder geht es links in Richtung Brücke. Gehen Sie unter der Brücke hindurch und weiter auf dem Uferpfad entlang. Von hier aus ist bereits die 1. Schleuse des Wolga-Don-Kanals zu sehen. Wenn man weitergeht (nicht von dem Sperrgebiet rechterhand abschrecken lassen), durchquert man einen Park, im Sommer ein beliebter Ort für Picknicks. An Sommerfrischlern und Anglern vorbei kann man bis zur Spitze der Landzunge laufen. Dabei eröffnet sich ein wunderbarer Blick auf den Kanal, die Wolga und den 40 m hohen Triumphbogen, der imposant die Kanalschleuse überragt. Er ist der russischen Heimat und den Heldentaten der Sowjetarmee gewidmet.

Der Wolga-Don-Kanal (Wolgo-Donskoi sudochodny kanal imeni Lenina) ist eine einzigartige Wasserverbindungsstraße zwischen den zwei großen Strömen Wolga und Don. Der Kanal ist 101 km lang und verbindet fünf Meere, die Ostsee, das Weiße, Kaspische, Asowsche und Schwarze Meer. Der „Lenin-Wolga-Don-Schifffahrtskanal“, wie er mit vollem Namen heißt, führt vom Krasnoarmejski-Bezirk bis zur Stadt Kalatsch-na-Donu. Auf dem Weg durchqueren die Schiffe 13 Schleusen und drei Stauseen (Warwarowskoje, Bereslawskoje und Karpowskoje). Das Gefälle zwischen Wolga und Don, immerhin 44 m, wird mithilfe eines ausgeklügelten Systems von Schleusen und Pumpwerken überwunden. Die Fahrt dauert 10-12 Stunden. Die Idee, Wolga und Don zu verbinden, beschäftigte die Menschen schon lange. Den ersten Vorstoß in dieser Richtung unternahm im 16. Jahrhundert der türkische Sultan Selim II. Ende des 17. Jahrhunderts griff Peter der Große die Idee wieder auf, eine Verbindung zwischen den beiden mächtigen Strömen zu schaffen. Erst im 20. Jahrhundert wagte man sich erneut an das Projekt. Mitte der 1930er Jahre wurde ein Bauplan erstellt, die Arbeiten verzögerten sich jedoch durch den Krieg, und so konnte erst 1948 mit dem Bau begonnen werden. Der eigentliche Kanalbau dauerte gerade einmal viereinhalb Jahren. Zum Vergleich: für den 82 km langen Panamakanal brauchte man 34 Jahre, für den 162 km langen Suezkanal fast 11 Jahre. Diese Rekordleistung war auch deshalb möglich, weil beim Kanalbau zehntausende sowjetischer Gulag-Häftlinge und Kriegsgefangener eingesetzt wurden. 1952 wurde der Wolga-Don-Kanal fertiggestellt, und Wolgograd wurde zum Hafen der fünf Meere.

Gleich hinter der Brücke biegt man links in die Uliza Fadejewa ein. Nach ein paar hundert Metern kommt man am Museum der Geschichte des Wolga-Don-Kanals (Musej istorii Wolgo-Donskowo sudochodnowo kanala) vorbei. Gegenüber liegt der Imbiss Samoljot („Flugzeug“, täglich 10-24 h), ein originelles Lokal mit einer ausrangierten Aeroflot-Maschine in der Mitte. Wer möchte, kann hier eine Pause einlegen und sich mit Schaschlik stärken.

Weiter geht es auf der Uferpromenade. Schon von weitem ist das gewaltige Lenin-Denkmal am Wolga-Don-Kanal (Pamjatnik W. I. Leninu u wchoda w Wolgo-Donskoi kanal) zu sehen. Der Vater des russischen Kommunismus überwacht die Einfahrt zum Kanal. Das größte Lenin-Denkmal der Welt ragt insgesamt 57 m in die Höhe, die Stahlbeton-Statue ist 27 m, das Granitpodest 30 m hoch. Das Podest ist übrigens älter als die Statue selbst. Bis in die 1960er Jahre stand an der Stelle des heutigen Lenin-Giganten ein Stalin-Denkmal, das die Entstalinisierung jedoch nicht überlebt hat. Zehn Tage nach der Umbenennung Stalingrads in Wolgograd 1961 wurde das Stalin-Denkmal demontiert. Das Podest stand über ein Jahrzehnt leer, bis schließlich 1973 ein Denkmal für Wladimir Lenin errichtet wurde. Der Bildhauer war Jewgeni Wutschetitsch, der auch die Lenin-Statue auf dem Ploschtschad Lenina im Stadtzentrum und die „Mutter Heimat ruft!“ auf Mamajew Kurgan entworfen hat. Zusammen mit dem Triumphbogen an der 1. Schleuse ist das Lenin-Denkmal heute ein Symbol des Krasnoarmejski-Bezirks. Beidseitig des Podests führen breite Granittreppen hinunter zu einem Platz, von dem man einen wunderbaren Blick über die Wolga hat. Gegenüber der Lenin-Statue, an der Mündung des Kanals in die Wolga, steht ein 26 m hoher Leuchtturm.

Auf dem unteren Uferweg gelangt man zurück zum Ausgangspunkt.