ENTLANG DER WOLGA

Dauer: etwa 1-2 Std.

Wir beginnen unseren Spaziergang auf der Alleja Gerojew, oberhalb der breiten Granittreppe, die hinunter zur Wolga führt.

Hier befindet sich ein Glanzpunkt der Uferpromenade: der Brunnen der Kunst (Fontan „Iskusstwo“), im Volksmund auch „Brunnen der Völkerfreundschaft“ (Fontan „Drushba narodow“) genannt. Die Bronzeskulptur auf einem Sockel aus rotem Granit stellt drei tanzende Mädchen in Nationaltracht dar. Inspiriert wurde diese Szene von der berühmten russischen Volkstanzgruppe Berjoska. Der Brunnen der Kunst wurde im Jahr 1957 nach Entwürfen des Bildhauers Sergej Aljoschin und des Architekten Wassili Schalaschow errichtet. Damals trug er noch den Namen „Freundschaft“ oder „Völkerfreundschaft“. Es existieren zwar keine offiziellen Dokumente, die den Namen des Brunnens nachweisen, aber auf Grußkarten aus jener Zeit hieß er „Brunnen der Freundschaft“ (Fontan „Drushba“). Die Bezeichnung „Brunnen der Völkerfreundschaft“ entstand vermutlich in Analogie zum gleichnamigen Brunnen an der WDNCh-Metrostation in Moskau. Der Name Fontan „Iskusstwo“ tauchte erstmals auf einer Grußkarte von 1985 auf. Obwohl der Brunnen seit Langem umbenannt ist, halten viele Wolgograder am alten Namen „Brunnen der Freundschaft“ fest. Zu Beginn der 1990er Jahre bekam der Brunnen eine eigene Beleuchtung, und bei einer Sanierung im Jahr 2012 wurde er zusätzlich mit einer eigenen Beleuchtungs- und Musikanlage ausgestattet. Alljährlich finden um den Brunnen herum viele Feierlichkeiten und Unterhaltungsveranstaltungen statt, und am Wochenende kommen Alt und Jung hierher, um eine kleine Auszeit vom Alltag zu nehmen und die Schönheit der Wolga zu genießen. Vom Brunnen aus erstrecken sich alle grünen Alleen und Uferwege entlang der Wolga.

Vor uns liegt die Treppe hinunter zur Wolga, doch wir wenden uns zunächst nach rechts und gehen die obere Uferpromenade entlang.

Die Zentrale Uferpromenade (Zentralnaja nabereshnaja) in Wolgograd gilt als eine der schönsten Parkanlagen an der ganzen Wolga und erfreut sich bei Touristen wie Einheimischen großer Beliebtheit.

In der Vorkriegszeit gab es hier einen bedeutenden Frachthafen und einen Flusshafen, an dem Schiffe aus allen Landesteilen anlegten. An der Uferböschung boten bis in die 1930er Jahre hinein gleich mehrere Kirchen einen majestätischen Anblick: die Kirche des Hl. Johannes des Täufers (Chram Swjatowo Ioanna Predtetschi), die Mariä-Entschlafens-Kirche (Uspenskaja zerkow), die Dreifaltigkeitskirche (Troizkaja zerkow) und die Kirche des Hl. Nikolaus von Myra (Chram Nikolaja Tschudotworza). Doch auch das damalige Stalingrad blieb von der Kirchenzerstörung in der Sowjetunion nicht verschont, und alle Kirchen an der Uferpromenade wurden dem Erdboden gleichgemacht. Allerdings wurde die Kirche des Hl. Johannes des Täufers vor einigen Jahren wieder aufgebaut, die Rekonstruktion des Gotteshauses des Hl. Nikolaus von Myra ist im Gange.

Im 2. Weltkrieg wurde die Uferpromenade zum Schauplatz heftiger Kämpfe. Von hier aus erfolgten die Evakuierung der Zivilbevölkerung und die Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln und Munition. Die Kämpfer der 62. Armee wehrten unter schweren Verlusten die feindliche Offensive ab und versperrten den Deutschen erfolgreich den Zugang zur Wolga. Nach dem Krieg wurde die zentrale Uferpromenade daher zu Ehren der Verteidiger in „Uferstraße der 62. Armee“ (Nabereshnaja 62-i Armii) umbenannt.

Das heutige Aussehen der Uferpromenade wurde in der Nachkriegszeit geprägt. 1952 wurde die Anlage von Grund auf saniert und neu gestaltet. Weiße Propyläen teilen die Promenade in eine Ober- und eine Unterterrasse. Auf der oberen Terrasse liegt der „Park des Sieges“ (Park pobedy) mit einer schönen Allee und dem Restaurant Majak. Auf der unteren Terrasse befinden sich die Anlegestellen und das Flusshafengebäude. Wenn von Ende April bis Anfang Mai im Wolshski-Wasserkraftwerk GES das Wasser abgelassen wird, steigt der Wasserspiegel der Wolga beträchtlich an, und die untere Terrasse der Uferpromenade wird überflutet. Die unter Wasser stehenden Anlegestellen, Karussells und Blumenbeete bieten einen ungewöhnlichen Anblick.

Fast am Ende der Uferpromenade passiert man das Denkmal zu Ehren der russischen Kosaken (Pamjatnik rossiiskomu kasatschestwu „Kasatschja Slawa“). Die mit Sockel etwa 2,9 m hohe Bronzeskulptur zeigt einen Kosaken hoch zu Pferde und eine Kosakin mit einer Ikone in der Hand, die sich von ihm verabschiedet. Die Figuren sollen den unruhigen Geist und die Friedlosigkeit jener Zeit verdeutlichen. Das Denkmal erinnert auch daran, dass die Kosaken beim Schutz Russlands vor Feinden und bei der Erhaltung der staatlichen Einheit stets eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Einweihung fand am 4. November 2010 statt, dem Tag der Nationalen Einheit und zugleich dem Tag der Gottesmutter von Kasan, die von den Kosaken sehr verehrt wird. Auch der Ort ist nicht zufällig gewählt: Die ursprüngliche Kirche wurde 1589 von Kosaken gebaut, und ein russisch-orthodoxes Kreuz und ein Kosaken-Evangelium aus dem Jahr 1863 sind hier aufbewahrt. Der Ort hat also für Kosaken eine große symbolische Bedeutung. Auf dem Platz, an dem das Denkmal steht, finden oft Veranstaltungen zur Wiederbelebung der Kosaken-Traditionen statt.

Hinter dem Denkmal erhebt sich die Kirche des Hl. Johannes des Täufers (Chram Swjatowo Ioanna Predtetschi). Mit ihrem Bau begann am 2. Juli 1589 die Geschichte der Festung Zarizyn. Ein Großbrand zerstörte den ursprünglichen Holzbau jedoch schon zehn Jahre später und mit ihm viele andere Gebäude in Zarizyn. 1615 wurde die Kirche wieder aufgebaut und 1664 durch den ersten Steinbau der Stadt ersetzt. Hier soll Stepan „Stenka“ Rasin, der berühmte Anführer des Kosakenaufstandes, als Kind getauft worden sein. 1670 wurde Zarizyn von Rasin und seiner Gefolgschaft eingenommen. Die Geistlichen unterstützten die Aufständischen sogar, indem sie ihnen halfen, agitatorische Schriften zu verfassen. Peter der Große hat die Kirche mehrfach besucht. 1722 wurde auf seinen Befehl ein Nebenaltarraum für die Apostel Peter und Paul gebaut. In den 1920er und 30er Jahren wurde die orthodoxe Kirche enteignet, nach und nach wurden alle Wertgegenstände – Ikonen, Glocken und kostbare Einrichtungsgegenstände – von der Sowjetmacht konfisziert. 1932 schloss man die Kirche unter dem Vorwand der Erdrutschgefahr und ließ sie kurz darauf abreißen. In den 1990er Jahren begann man, die Kirche des Hl. Johannes des Täufers neu aufzubauen, und seit dem Jahr 2000 ist sie wieder zugänglich. Das neue Gotteshaus steht etwas abseits vom ursprünglichen Standort, inmitten der Grünflächen der Uferpromenade.

Rechts neben der Kirche steht das Denkmal für die Heiligen Petrus und Fewronia (Pamjatnik swjatym blagowernym Petru i Fewronii Muromskim) von Murom. Seit einigen Jahren werden in ganz Russland Denkmäler für dieses berühmte Heiligenpaar errichtet. Die russisch-orthodoxe Kirche erhofft sich davon eine Stärkung traditioneller Familienwerte. Und so soll auch diese am 8. Juli 2012, dem Tag der Familie, eingeweihte Skulptur ein Symbol für eheliche Liebe, Treue und Loyalität sein. Sie trägt die Inschrift Blagoslowenie („Segen“) und ist – wen wundert es – ein beliebtes Ziel für Brautpaare.

Hinter der Kirche steht in Richtung Ufer eine kleine Holzkapelle für die Gottesmutter Maria.

Ein Stück weiter zieht ein ungewöhnliches Gebäude die Blicke auf sich: Das kreisrunde Restaurant Majak (Restoran Majak, „Leuchtturm“) wurde im Stil des Neoklassizismus errichtet und ist ein Architekturdenkmal des 20. Jahrhunderts. Schon in den 1930er Jahren gab es in Stalingrad ein gleichnamiges Restaurant, das heutige Gebäude stammt allerdings aus den 50er Jahren. Als erstes Restaurant, das nach dem Krieg wieder eröffnete, erfreute sich das Majak größter Beliebtheit bei den Stalingradern. Nach den schweren Kriegsjahren hatte man endlich wieder einen Ort zum Feiern, und so wurden hier unter den Klängen des Blasorchesters häufig Hochzeiten, Jubiläen und Bankette veranstaltet. Lange Zeit war es schwer, überhaupt einen Tisch zu bekommen. Das Restaurant Majak wurde zum Symbol der erneuerten Stadt. Mittlerweile wurde das Gebäude mehrmals umgebaut, zuletzt im Jahr 2006. Aus den im maritimen Stil eingerichteten Speisesälen hat man einen schönen Blick auf die Wolga.

Von dort gehen wir links hinunter zum Hafengebäude.

Der Wolgograder Flusshafen (Retschnoj port) mit seinem riesigen Fracht- und Passagierterminal ist der größte und wichtigste Binnenhafen im Wolgagebiet. Von hier aus gibt es eine regelmäßige Fährverbindung zu Wolgograds Trabantenstadt Krasnoslobodsk am gegenüberliegenden Ufer. Außerdem erreicht man von hier verschiedene Datschensiedlungen, Erholungsgebiete und die Sarpinski-Insel, die größte Flussinsel Russlands. Auch Kreuzfahrtschiffe aus Astrachan, Moskau, Saratow, Samara und Nishni Nowgorod legen im Hafen an. Etwa 1,3 Mio. Passagiere werden hier pro Jahr befördert. Und wer die nähere Umgebung vom Wasser aus entdecken will, kann an einer der zahlreichen Ausflugsfahrten teilnehmen.

Das langgestreckte Hafengebäude wurde 1980 eröffnet und ist der größte Bau seiner Art in Russland und Europa. Es ist 36 m breit und 47 m hoch, und die Wolgograder sind stolz darauf, dass es mit seinen 296 m fast so lang ist wie der Rote Platz in Moskau. An der Anlegestelle können bis zu sechs Schiffe gleichzeitig vertäut werden. Der Hafen ist jedoch nicht nur ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, sondern wandelt sich immer mehr zu einem Erholungs- und Vergnügungszentrum. Neben dem 1989 eröffneten Zentralen Konzertsaal mit der berühmten Rieger-Kloss-Orgel erwarten den Besucher hier jede Menge Cafés, Restaurants, Bars, Nachtclubs und ein Fitnessclub.

Vom Uferkai geht es die mehr als hundert Stufen der Granittreppe hinauf und dann nach rechts entlang der oberen Uferpromenade.

Vor uns erhebt sich ein elegantes cremefarbenes Gebäude mit weißen Säulen: das Wolgograder Musiktheater (Musykalny teatr). 1932 als Stalingrader Musikkomödien-Theater gegründet, ist es das älteste Musiktheater an der Wolga und nach wie vor eins der besten im ganzen Land.

Dahinter erstreckt sich die Uferpromenade. Ein Spaziergang lohnt sich besonders im Frühjahr und Sommer, wenn die Wolga blau durch die grünen Baumkronen schimmert. Wer möchte, kann eine Pause in einem der Cafés und Restaurants auf dem Weg einlegen, zum Beispiel im Guljai Pole, das wie eine ukrainische Bauernkate aussieht.

Etwas weiter gelangt man zum Panorama-Museum „Stalingrader Schlacht“ (Musej-Panorama „Stalingradskaja bitwa“). Rechts daneben steht die Ruine der Gerhardt-Mühle, die als Mahnmal an die Schlacht erhalten geblieben ist.

Vom Museum aus sieht man die Tanzende Brücke (Tanzujuschtschi most). Die etwa 7 km lange Autobrücke verbindet die Ufer der Wolga und der Achtuba. Sie verläuft über den Naturpark Wolga-Achtuba-Aue (Wolgo-Achtubinskaja poima) und ist der kürzeste Weg zwischen Wolgograd und seinen Satellitenstädten Wolshski und Krasnoslobodsk. Für die Infrastruktur der gesamten Region ist die Brücke von immenser Bedeutung, denn sie entlastet die Hauptverkehrsstraßen, verbindet Wolgograd mit Mittelasien und bildet einen wichtigen Baustein im neuen internationalen Transportkorridor „Ost-West“. Von der Brücke hat man eine wunderschöne Aussicht auf Stadt und Wolga. Den Spitznamen „Tanzende Brücke“ erhielt sie aufgrund einer ganz besonderen Eigenschaft: Im Herbst 2009 wurde die Brücke eröffnet, musste jedoch schon im Mai 2010 wegen massiver Schwingungen wieder gesperrt werden. Technische Untersuchungen zeigten allerdings, dass die Brücke keinerlei Schäden aufwies, und so wurde sie erneut für den Verkehr freigegeben. Bis heute ist unbekannt, was die Schwingungen ausgelöst hat. Nach offiziellen Angaben könnten diese durch Konstruktionsfehler verursacht worden sein. Es gibt aber noch eine andere Erklärung: Starke Windböen sorgen dafür, dass die Brücke ins Schwanken gerät. Auch wenn die Konstruktion keine technischen Mängel aufweist, wurde sie vorsichtshalber mit speziellen Ausgleichsgewichten verstärkt, damit sich die „Tanzende Brücke“ in Zukunft ruhig verhält.

Von hier aus kann man in die Innenstadt zurückkehren oder die Uferpromenade entlang bis zur Brücke weitergehen.